"Ihre Gestalt ist inspiriert von und zugleich symbolisch für die schönste menschliche Form, den weiblichen Körper. Es gibt keine geraden Linien bei der Violine: jede Linie ist geschwungen und gebogen, einschmeichelnd und zart. Wir sprechen von ihren Teilen mit Ausdrücken der Anatomie: Kopf, Hals, Schultern, Taille, Bauch, Rücken - und Boden. Der Lack einer Stradivari oder Guarneri erinnert an den Widerschein der Sonne im seidigen Glanz menschlicher Haut. Und wie die weibliche Stimme umfaßt die Violine den Bereich vom Sopran bis zum Kontra-Alt. Ich habe mich oft gefragt, ob psychologisch gesehen ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen der Beziehung einer Frau und eines Mannes zur Violine. Ich habe immer den Kopf meiner Violine geküßt, ehe ich sie "zum Schlafen" in ihren Kasten zurücklegte. Immer wieder habe ich das schillernde, lebendige Spiel des wundervollen Lackes bewundert, wenn ich den Winkel der Violine zum Sonnenlicht veränderte; diese Durchsichtigkeit und dieses Feuer habe ich stets für das Temperament eines menschlichen Wesens gehalten. Sieht eine Geigerin in der Violine mehr ihre eigne Stimme oder mehr die Stimme eines Menschen, den sie liebt? Sind da Elemente von Narzißmus in der Beziehung einer Frau zur Violine, und ist sie nicht tatsächlich auf seltsame Weise besser für das Cello geeignet? Die Handhabung und das Spiel einer Violine ist ein Vorgang von Liebkosung und Beschwörung, das Hervorbringen eines Tones, der auf die Hände des Meisters wartet. Sie ist verlockend und faszinierend, passiv, wenn man so will, aber bereit, auf die leiseste Berührung zu antworten. Eine schöne Geige besitzt dieses unendliche Potential - an Flexibilität, Farbe, besonderem Klangcharakter und Klangvolumen -, das die Musik und den Spieler erwartet."
Yehudi Menuhin
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